Mehr miteinander reden!
LP 1/2024 | Charles Lübcke
Am 1. März diesen Jahres hat meine Liberale Hochschulgruppe in Bonn eine Veranstaltung mit der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, jüngst auch liberale Spitzenkandidatin für Europa, ausgerichtet. 90 Minuten waren Zeit, erst für einen Vortrag von ihr, im Anschluss sollte noch Raum für Fragen aus dem Publikum bleiben. Doch zu letzterem kam es nicht. Kaum ein paar Minuten nach Vortragsbeginn, nicht mal beim Thema Nahost angekommen, begannen Störer aus verschiedenen Ecken des gefüllten Hörsaals „Kriegstreiberin“ zu rufen und Transparente zu entrollen. Es kam zu allgemeinen Unruhen, doch anstatt auf die Sicherheitsleute zu warten, ging die Vortragende auf eine der rufenden Gruppen zu und bot den Störern den Dialog an: Statt den Vortrag zu unterbrechen, sollten sie abwarten und am Ende die Bühne bekommen, um ihre Kritik in einem angemesseneren und konstruktiveren Rahmen zu äußern. Statt auf dieses Angebot einzugehen, protestierten die Störer jedoch erstmal weiter und nahmen kein Dialogangebot wahr. Sie wurden kurz darauf des Saales verwiesen.
Was mich dabei beunruhigt hat, war nicht primär der Inhalt der geäußerten Kritik – in liberalen Demokratien gehen Meinungen auseinander und das ist auch gut so. Beunruhigt hat mich eher die Art der kritischen Äußerung und vor allem die ablehnende Reaktion auf jedes Dialogangebot.
Das ist ein Trend der sich schon länger beobachten lässt. Schon während der Corona- Pandemie wurde eine abnehmende Toleranz gegenüber anderen Meinungen in der Gesellschaft spürbar – in alle Richtungen. Wer sich kritisch gegen Schulschließungen äußerte, dem wurde längst nicht mehr überall die offene Debatte angeboten, sondern stattdessen Gleichgültigkeit den Kindern gegenüber unterstellt. Auf der anderen Seite bezeichneten Querdenker Maskenträger oder Geimpfte schlichtweg als dumm, regierungshörig oder verweigerten ihnen komplett das Gespräch. Statt miteinander zu reden, wurde wenn dann nur noch gegeneinander, meist aber nur noch übereinander geredet.
Ob Kriege, Corona oder Migration – kaum ein Thema mehr, bei dem ergiebige, sachliche Diskussionen nicht ideologisiertem Grabenkampf und simplem Gegeneinander gewichen sind. Diese Kultur des Nicht-mehr-Zuhörens, des Nicht-mehr-miteinander-Redens, der schwindenden Akzeptanz anderen Meinungen gegenüber erfasst anscheinend die ganze Gesellschaft, besonders aber die Hörsäle, Seminarräume und Cafeterien der Hochschulen. Immer schon waren Universitäten auch politische Räume, Orte für harte und sicher nicht immer nur rein sachliche Debatten und das ist auch nichts prinzipiell Schlechtes. Im Gegen- teil: Konstruktive Diskussionen können bereichernd sein. Sowohl die Politik als auch die Wissenschaft lebten von neuen Ideen der jungen, akademischen Generation.
Doch wo die eigene Meinung als absolut, ihre Ablehnung als Blasphemie aufgefasst wird, da bereichert sie nicht mehr, da zerstört sie und vergiftet diesen politischen Raum. Wo nicht mehr diskutiert, nicht mehr geredet und nicht mehr zugehört wird, wo nur noch geschrien und protestiert wird, da kann aus einer Meinungsäußerung wenig Konstruktives erwachsen. Wenn Dozentinnen und Dozenten aus Hörsälen ausgeladen werden, weil sie eine kontroverse Position vertreten, dann schadet das dem wissenschaftlichen Diskurs. Wenn Studentinnen und Studenten sich nicht mehr sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, weil sie damit in der Minderheit sind, dann schadet das dem politischen Diskurs. Wenn die Meinungsvielfalt nicht mehr als Bereicherung für die Gesellschaft wahrgenommen wird, sondern als unbequem oder gefährlich, dann ist das schlussendlich eine Gefahr für unsere liberale Demokratie. Denn was aus der Nichttoleranz anderer Meinungen aber auch aus dem Nicht-toleriert-werden auf der anderen Seite folgt, ist in beiden Fällen Isolation und Radikalisierung. Und genau das lässt sich aktuell beobachten: Die Ränder werden stärker und die demokratische Mitte wird schwächer.
Es ist also Zeit, wieder mehr Perspektivwechsel zu wagen. Wieder mehr zuzuhören, anstatt nur herumzuschreien. Wieder mehr offenen Diskurs zu üben. Und siehe da: Am Ende der Veranstaltung mit Frau Strack-Zimmermann ging tatsächlich eine der Protestierenden auf das Angebot ein, ihre Perspektive geordnet auf der Bühne darzulegen und mit der Referentin in den Dialog zu treten. Die Meinungen der beiden waren zwar auch nach der Veranstaltung grundverschieden – doch immerhin hatten sie miteinander geredet.