Erfahrungsbericht

Meine Schule, mein Dorf

Schulen zu Bildungsdörfern entwickeln

LP 1/2024 | Sylvia Canel

Miteinander ein Stück des Lebensweges zurückzulegen, ist eine feine Sache und gerade Kinder während ihrer Entwicklung eine Zeit lang zu begleiten, zu fördern und auch zu fordern, ist ein ganz großes Privileg. Ich schreibe das als leidenschaftliche Lehrerin.

Es gibt kaum etwas Schöneres als miteinander und aneinander zu wachsen. Es ist nur schwer, den Ansprüchen der Fachanforderungen (Lehrplan), der Eltern, der Gesellschaft und letztlich den eigenen Anforderungen genügen zu können.

Zunehmend beobachte ich, wie Chancen, Kindern individuell zu helfen, in den Schulen vertan werden. Wie völlig hilflos und arglos Eltern ihre Kinder Brutalo-Medien ausliefern, wie wenig Kindern noch zugetraut wird und wie wenig Grenzen Kindern gesetzt werden. Bekanntlich braucht es ein ganzes Dorf, um Kinder erziehen zu können und ich frage mich fast täglich, wo ist dieses Dorf?

Wo sind die vielen gut ausgebildeten Lehrkräfte, Erzieher, Schulbegleiter, Schulassistenten, Psychologen, Therapeuten und Krankenschwestern, die wir dringend benötigen, damit wir Kinder frühzeitig, individuell und bestmöglich fördern können. Und wo sind die Politiker, die uns das finanzieren? Wo sind die Architekten, die uns viele, schöne, helle und großzügige Räume zum kreativen und erfolgreichen Lernen bauen? Wo sind die Eltern, die bereit sind ihre Kinder zu erziehen, auch wenn es schwierig wird.Meine Schule, mein Dorf

Bildung ist der Schlüssel für ein lebenswertes Miteinander

 

In einem Land, das an Bodenschätzen arm und an Schulabbrechern reich ist, sollte Bildung eine hohe Priorität haben. Gute Bildung für alle ist entscheidend für die Stärkung des einzelnen Menschen und der gesamten Gesellschaft. Ein Stück Freiheit – in jeder Hinsicht. Längst geht es nicht nur um die Vermittlung von Wissen, nicht nur um Kompetenzen. Es geht auch um eine humane, aufgeklärte Haltung gegenüber unserer Gesellschaft. Um Reife. Kinder und Jugendliche sollen lernen, respektvoll miteinander umzugehen, Konflikte friedlich zu lösen und Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen. Miteinander sollten wir es schaffen, unsere Vorstellungen von guter Bildung und einer sozialen Gesellschaft zu gestalten.

Insgesamt erfordert der Miteinander-Weg zur Verbesserung unseres Bildungssystems eine ganzheitliche und kooperative Herangehensweise, die die verschiedenen Akteure im Bildungswesen einbezieht und zur Verantwortung verpflichtet.

Erziehung ist Elternpflicht

Grundlegend ist von Anfang an die Erziehung unserer Kinder. Das ganze Dorf – die ganze Gesellschaft – darf nicht länger zuschauen wie die Erziehung unserer Kinder langsam und scheinbar endgültig den Eltern entgleitet und den überlasteten Kitas und Schulen zugedacht wird.

Was brauchen Schulen – Ressourcen und Rahmenbedingungen

Gute Schule den ganzen Tag, das ist mehr als nur Betreuung, wenn Eltern arbeiten. Die Liste ist lang, was es für eine gute Schule braucht: ausreichend multiprofessionelles Personal, großzügige Räumlichkeiten mit ausreichend Platz für verschiedene Aktivitäten, die den unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht werden. Dazu gehören beispielsweise Sport- und Bewegungsangebote, kreative, handwerkliche und künstlerische Workshops, Lernunterstützung, Hausaufgabenbetreuung, soziale Projekte und vieles mehr. Wir brauchen Schulen, die selbst wie Dörfer funktionieren, in denen gemeinsam gelernt, gekocht, geforscht und gespielt werden kann.

Ein systemischer Weg, der auch nur miteinander möglich ist, ist die Überwindung des eitlen Bildungsföderalismus, die Einschränkung der nicht enden wollenden Bürokratie, der ineffizienten Entscheidungsprozesse und eine ausgewogene Verteilung von Verantwortlichkeiten zwischen Bund, der die allgemeinen Leitlinien und Strukturen beschließen sollte, Ländern und Kommunen, die die Umsetzung der Strukturen beaufsichtigen und fördern und den Schulen, die ausreichend ausgestattet eigenständig arbeiten und an ihren Leistungen gemessen werden können. Machen wir es doch einfach. Machen wir unsere Schulen zu unseren Dörfern und zum Mittelpunkt unserer Gesellschaft, denn da gehören sie hin.

Sylvia Canel

Sylvia Canel

Sylvia Canel studierte Lehramt Biologie, Germanistik und Pädagogik an der Universität Hamburg. Sie arbeitete zunächst als Gymnasiallehrerin. 2002 trat sie in die FDP Hamburg ein und übernahm dort Verantwortung in verschiedenen Funktionen u. a. als bildungspolitische Sprecherin und 2012 als FDP-Landesvorsitzende und stellv. Bundesvorsitzende. Von 2009 bis 2013 war sie FDP-Bundestagsabgeordnete. Heute arbeitet sie als Grundschullehrerin in Schleswig-Holstein.