Editorial Alexander Bagus
23. Dezember 2024
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
kennen Sie das? Sie nähern sich einer Gruppe Menschen und haben auf einmal so ein ganz komisches, flaues Gefühl? Kein Angstgefühl, aber ein Unwohlsein. So etwas lässt sich in dem Moment meist nicht rational begründen. An einen solchen Moment erinnerte ich mich neulich, als uns unsere VLA-Freizeit nach Erfurt führte. Wir waren dort zuletzt gut ein Jahr davor gewesen wegen der Bundesmitgliederversammlung der Liberalen Hochschulgruppen. Damals stellte sich bei mir dieses flaue Gefühl ein. Wir waren in einer kleinen Gruppe nachts noch in der Stadt unterwegs.
Begrenzte Auswahl ließ nur eine Bar übrig. Als wir uns dieser näherten, baute sich das flaue Gefühl bei Betrachtung der draußen stehenden Gäste dieser Bar auf: viele, fast ausschließlich, weiße Männer, teils im Anzug, irgendwie unpassend für die Art Bar, wenige über 45. Sie saßen und standen in kleineren Gruppen zusammen, ein unsichtbares Band verband sie miteinander, drinnen wie draußen. Nur eine Gruppe passte irgendwie nicht rein, waren sie doch nicht ganz so weiß und auch legerer gekleidet.
Ich beobachtete ganz bewusst, versuchte, mein Unwohlsein zu ergründen. Ich hatte eine Vermutung, recherchierte online, musterte die Gäste weiter. Letztlich meinte ich, zwei Gäste erkannt zu haben: AfD-Abgeordnete aus Thüringen. Doch Unsicherheit blieb. Vielleicht Verwechslung? Gehörten die Personen wirklich fast alle zusammen? Wir tranken weiter, es wurde spät, doch dieses mulmige Gefühl blieb. Also zahlten wir, bereit zum Aufbruch. Da machte sich auf einmal auch eine Gruppe aus einer Sitzecke auf in Richtung Ausgang, kam aber nicht weit. Sie kam mit dem anderen Grüppchen, das sich von den anderen optisch abhob, ins Gespräch. Ich beobachtete diese Szene genau. „Knallt es hier gleich?“, fragte ich mich.
Die Diskussion dauerte vielleicht eine halbe Minute. „BOL-SO-NA-RO! BOL-SO-NA-RO! BOL-SO-NA-RO!“ schallte es dann. Die gemeinsame Basis der beiden anscheinend fremden Gruppen war ein Schlachtruf auf den vormaligen rechtspopulistischen Präsidenten Brasiliens Jair Bolsonaro. Jetzt war definitiv der Moment gekommen, zu gehen, aber hurtig. Thüringens Rechte findet offensichtlich jederzeit schnell internationale Freunde. Was hätten Sie gemacht? Hätten Sie die Bar von Anfang gemieden? Wären Sie geblieben, hätten noch das Gespräch oder vielmehr die Konfrontation gesucht?
Für mich war an dieser Stelle klar, in Teilen Deutschlands ist die letzten Jahre etwas ins Rutschen gekommen. Aber auch international gewinnen populistische Kräfte; das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler ändert sich massiv. Darum geht es in dieser Ausgabe und wir schauen dabei nach Hamburg, in den deutschen Osten, nach Frankreich und die USA. „Mögest Du in interessanten Zeiten leben“, lautet ein chinesischer Fluch. Interessant sind sie momentan auf jeden Fall und werden sie auch sicherlich noch einige Jahre bleiben.
Daneben begann dieses Jahr mit Veränderungen für unsere Liberalen Perspektiven und sie enden auch damit. Für zwei Ausgaben hatten wir Britta Lübcke als Chefredakteurin an Bord. Sie verlässt uns auf eigenen Wunsch wieder, was wir sehr bedauern. Ich danke ihr im Namen des VLA-Präsidiums für das starke Engagement, die vielen Ideen und Impulse, die unsere Liberalen Perspektiven nach vorne gebracht haben, sowie für das gute Miteinander. So oder so wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Lesevergnügen mit diesem Heft und wünsche Ihnen eine besinnliche Zeit „zwischen den Jahren“.
Noch ein Hinweis zur Online-Ausgabe: Das PDF-Dokument ist bereits online. Die Online-Beiträge können wir dieses Mal nicht zeitgleich mit der gedruckten Ausgabe veröffentlichen. Wir bitten um ihr Verständnis.
Ihr Alexander Bagus