Syrien nach de Sturz des Assad-Regimes
LP 1/2025 | Nassim Al Hamwi
Ausgelöst durch den Arabischen Frühling gingen viele junge Syrer im Jahr 2011 auf die Straße. Sie hatten Hoffnung – Hoffnung auf ein besseres Leben, auf Demokratie, auf eine gerechtere Zukunft. Doch viele ahnten nicht, wie schnell und brutal die friedlichen Demonstrationen vom Assad-Regime niedergeschlagen werden würden. Es entstand ein Bürgerkrieg, der fast 14 Jahre andauerte, Familien zerriss und das Land in Chaos und Zerstörung stürzte. Millionen Syrer flohen, viele nach Europa, während ausländische Akteure in den Konflikt eingriffen und Syrien zum Spielball geopolitischer Interessen machten. Das Assad-Regime hielt sich an der Macht, unterstützt vor allem durch Iran und Russland. Die Fronten erstarrten
und Syrien zersplitterte. Verschiedene Kriegsparteien übernahmen die Kontrolle. Doch im Dezember 2024 geschah Unerwartetes: Nachdem kaum noch jemand an
ein Ende des Krieges geglaubt hatte, starteten die Rebellen unter Ahamad Al-Scharaa eine militärische Offensive. Durch gezielte Angriffe auf strategische Ziele gelang es ihnen in kurzer Zeit, weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen – ein bemerkenswerter Erfolg in einem Konflikt, in dem sich die rontlinien jahrelang kaum verschoben hatten. Der Zeitpunkt der Offensive war geschickt gewählt. Assads Verbündete, die Hisbollah und der Iran, waren durch Israels Angriffe geschwächt. Russland, das 2015 militärisch eingegriffen hatte, war durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine gebunden. Assad war verwundbar wie nie zuvor – und die Rebellen nutzten diese Schwäche eiskalt aus.
Beginn eines Post-Assad Syrien
Wie sieht nun die Zukunft Syriens aus? Die ersten Schritte nach der Befreiung wecken vorsichtigen Optimismus. Eine Verfassungsreform und demokratische Wahlen wurden angekündigt, auch wenn dies noch Jahre dauern soll. Der neue Machthaber versprach den Schutz von Minderheiten, die im Krieg besonders gelitten hatten, da sie sowohl von islamistischen Gruppen als auch vom Assad-Regime verfolgt wurden. Die neue Regierung scheint gewillt, das Land zu einen.
Bilder von der Befreiung politischer Gefangener aus den Folteranstalten des Assad-Regimes gingen um die Welt. Der ehemalige Premierminister Al-Dschalali durfte noch einige Zeit im Amt bleiben, um eine geordnete Machtübergabe zu ermöglichen. Wehrpflichtige des alten Regimes erhielten Amnestie, Milizen sollen aufgelöst und in die Armee integriert werden. Zudem wurden Gespräche mit der kurdischen Selbstverwaltung aufgenommen, um sie in das neue Syrien inzubinden.
Auch in puncto Fortschrittlichkeit möchte sich die neue Regierung positionieren. Mehrere Frauen wurden in Spitzenpositionen berufen: Die Zentralbank wird nun von Maysaa Sabrine geleitet [Anm. d. Red.: Zwischen Verfassen des Artikels und Erscheinen des Hefts ist sie zurückgetreten], und Muhsina al-Mahithaui wurde zur Gouverneurin der Provinz Suwaida ernannt. Es sind erste positive Schritte, doch Syrien ist noch weit von einer modernen Gesellschaft entfernt. Zudem wurde das Drogenimperium von Baschar al-Assad zerschlagen. Darauf reagierten insbesondere arabische Länder positiv, da sie mit massiven Drogenproblemen zu kämpfen hatten. Syrien hat sich zudem bereit erklärt, alle Chemiewaffen abzugeben.

Erstes Massaker an den Alawiten
Ein weiteres bedeutendes Abkommen wurde mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) erzielt. Demnach werden die SDF in das syrische Militär eingegliedert und die kurdische Selbstverwaltung in das syrische Staatsgebiet integriert. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. In den letzten Wochen kam es in den Provinzen Latakia und Tartus zu einem Massaker. In dieser Region gehört die
Mehrheit der Bevölkerung der Minderheit der Alawiten an, der auch Baschar al-Assad entstammt.
Ausgehend von einem Angriff der Überbleibsel von Assads Anhängerschaft auf Regierungstruppen, entwickelte sich eine brutale Eskalation. Beide Seiten trieben die Gewalt auf die Spitze, hunderte Zivilisten kamen ums Leben, auch durch gezielte Hinrichtungen.

Obwohl der neue Machthaber angekündigt hat, die Ereignisse zu untersuchen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, kommen ernsthafte Zweifel an seiner Führung auf. Vor allem die zahlreichen Milizen, die sich während des Bürgerkrieges gebildet haben und nun in das Militär eingegliedert werden sollen, scheinen sich seiner Kontrolle zu entziehen. Die Gefechte sind mittlerweile beendet, doch die Ereignisse zeigen, wie weit Syrien noch von echter Einheit entfernt ist. Auch andere Minderheiten wie Christen und Drusen sorgen sich nun um ihre Zukunft.
Dunkle Vergangenheit des neuen Machthabers
Mit Blick auf die Zukunft Syriens darf die Vorgeschichte des neuen Machthabers nicht ausgeblendet werden. Ahamad Al-Scharaa hat eine radikal-islamistische Vergangenheit. Seine Miliz, die HTS, war ein Ableger der Terrororganisation
al-Qaida. Seinen Kampfnamen Al-Dschulani hat er inzwischen abgelegt und nutzt nur noch seinen bürgerlichen Namen. Doch die Welt und das syrische Volk müssen genau beobachten, ob seine progressivere Politik nur der Inszenierung dient oder ob er es ernst meint mit Wiederaufbau und Versöhnung des Landes. Während die internationale Gemeinschaft nun diskutiert, ob die neue Regierung anerkannt und Sanktionen aufgehoben werden sollten, steht Syrien am Scheideweg. Noch gibt es viele offene Fragen, welche die Zukunft Syriens bestimmen werden. Obwohl Israel den Fall Assads – einen Verbündeten der Erzfeinde Iran und Hisbollah – positiv
aufgenommen hat, besetzte es direkt weitere Teile der Golanhöhen und entwaffnete die neue Regierung. Die Türkei führt zudem weitere Militäroperationen im Norden
Syriens durch. Auch die Hisbollah und der Iran stehen der neuen Regierung kritisch gegenüber und werden alles daransetzen, dass Syrien nicht zur Ruhe kommt. Die zahlreichen ausländischen Akteure, die derzeit in Syrien aktiv sind, destabilisieren das Land nur weiter. Ein weiteres großes Problem ist die Armut. Das Land soll Jahrzehnte brauchen, um das wirtschaftliche Vorkriegsniveau wieder zu erreichen. Zudem ist die Infrastruktur weitgehend zerstört und die Versorgung mit
Strom und Medikamenten ist nicht sichergestellt. Syrien wird für den Wiederaufbau auf die Hilfe insbesondere europäischer Staaten angewiesen sein. Das Schlimmste, was der Westen tun könnte, wäre, nichts zu tun. Man darf nicht zulassen, dass Syrien erneut zum geopolitischen Spielball des Irans und Russlands wird, oder dass sich Terrororganisationen wie der Islamische Staat wieder
ausbreiten. Daher liegt es auch in unserem Interesse, den Wiederaufbau zu unterstützen und das Land an den Westen zu binden.
Syrien steht vor Mammutaufgaben
Syrien steht nun an einem entscheidenden Punkt seiner Geschichte. Wird es die Chance auf eine friedliche Zukunft ergreifen können oder erneut in Chaos versinken? Der wirtschaftliche Wiederaufbau, die politische Stabilisierung und die Versöhnung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sind Mammutaufgaben, die Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen werden. Doch die Syrer verspüren nach dem Fall Assads etwas, von dem sie lange glaubten, es existiere nicht mehr. Sie verspüren wieder Hoffnung – Hoffnung auf ein besseres Leben;
Hoffnung auf ein freies Syrien; Hoffnung auf eine Zukunft, die nicht mehr von Krieg und Gewalt geprägt ist. Die Weltgemeinschaft darf Syrien in dieser entscheidenden Phase nicht allein lassen, denn nur durch gemeinsame Anstrengungen kann ein dauerhafter Frieden gesichert werden.

Nassim Al Hamwi
Nassim Al Hamwi, 23, studiert Maschinenbau an der Technischen Universität Berlin. Er war Mitglied im Bundesvorstand der Liberalen Hochschulgruppen und stellvertretender andesvorsitzender
der LHG Berlin-Brandenburg. udem engagiert er sich im Vorstand der FDP Neukölln. Nassim hat familiäre
Wurzeln in Syrien und verfolgt die politische Entwicklung des Landes seit seiner Kindheit mit großem Interesse.



