LP Ausgabe 2-2024 Editorial der Chefredakteurin Britta Lübke.

Der Zweck heiligt doch die Mittel

Erfahrungen einer jungen Kommunalpolitikerin in Hamburg

LP 2/2024 | Sidney Gregor-Wielan

An einem lauen Juniabend saßen wir beim Rugbyverein im Hamburger Stadtpark, noch in Jacken und Pullis gehüllt, da der Hamburger Sommer sich bislang nicht von seiner besten Seite gezeigt hatte.

Trotz des Wetters herrschte gute Stimmung, denn wir feierten unser Wahlergebnis der Bezirkswahl: Mit 27,9 Prozent hatten wir unser zweitbestes Resultat erzielt und unsere Position als stärkste Fraktion behauptet. Dies gab uns jede Menge Rückenwind für die bevorstehenden Sondierungsgespräche mit der SPD.

Sidney Gregor-Wielan auf einer Wahlveranstaltung.

Verlust von vier Mandaten

Unser Plan war es, die erfolgreiche grün-rote Koalition fortzuführen, die in den vergangenen fünf Jahren (wie auch in den fünf Jahren davor als rot-grüne Koalition) sehr gut funktioniert hatte. Doch die Sitzverteilung in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord hatte sich verändert: Trotz unserer Stellung als stärkste Fraktion verloren wir vier Mandate und rutschten von 19 auf 15 Abgeordnete. Drei dieser Mandate gingen an Volt, die erstmals in die Bezirksversammlung einzogen, eines an die SPD. Dieses eine Mandat eröffnete die Möglichkeit einer Koalition gegen uns, mit Unterstützung von CDU und FDP – was eine hauchdünne Ein-Stimmen-Mehrheit bedeuten würde.

Viele von uns hielten dies für unwahrscheinlich, gerade weil doch die Zusammenarbeit in den letzten zehn Jahren konstruktiv und geräuschlos verlaufen war. Zudem waren sogar Freundschaften zwischen Grünen und Roten entstanden, die eine Vertrautheit suggerierten, die nun wohl doch nicht (mehr) da war. Denn diese Freundschaften wurden in der Woche nach der Wahl einseitig aufgekündigt und wir standen nun mit offenen Mündern da. Wir hatten diese Entwicklung nicht kommen sehen.

Keine echte Freundschaft in der Politik

Die erste Lektion war klar: In der Politik kann es wohl kein (über-)parteiliches Vertrauen geben, geschweige denn echte Freundschaft. Die zweite Erkenntnis: Wir müssen uns nicht an die Regeln der Fairness halten, auch wenn es unsere langjährigen Partner nicht tun. Nach einem einstimmigen Votum unserer Partei, nur mit der SPD zu sondieren, zeichnete sich ab, dass die Gespräche nicht gut liefen. Daraufhin gingen wir auf die CDU zu, die in Hamburg eher unbedeutend ist (diese erhielt bei der letzten Bürgerschaftswahl nur 11,2 Prozent) und sich freut, überhaupt mal wieder relevant zu sein. Ironischerweise hatten wir trotz inhaltlich deutlich größerer Differenzen hier das angenehmere Gespräch.

Mitte August kam dann die finale Info der SPD, dass sie in die Koalitionsverhandlungen mit CDU, FDP und Volt eintreten würden. Dass auch Volt für Koalitionsverhandlungen angefragt wurde, überraschte uns zwar, ergab aber vor dem Hintergrund der knappen Mehrheit Sinn, weil sich die Koalition im Zweifel sonst von der AfD dulden lassen müsste. Unsere Oppositionsrolle wird nun für die nächsten Jahre zementiert sein. So ist der Lauf der Dinge. Wir sind gespannt darauf, uns in diese neue Rolle hineinzufinden und so wieder zum Ursprung unserer Partei zurückzukehren. Als größte Oppositionsfraktion werden wir für die anderen Parteien ganz sicher nicht sonderlich bequem sein.

Offene Fragen

Diese Entwicklung wirft allerdings einige Fragen auf: Muss man sich damit abfinden, dass Posten schon auf kommunaler Ebene das Einzige sind, worum es geht? (Anmerkung der Redaktion: Mit dem Bündnis aus SPD, CDU, FDP und Volt gegen die Grünen will die SPD vor allem den unliebsamen Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz [Grüne] ablösen.) Wie lässt sich rechtfertigen, dass trotz einer linken Mehrheitswahl im Bezirk ein solch krudes Bündnis zustande kommen muss, nur um eben diese Mehrheit zu verhindern?

Der politische Betrieb muss sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Sonst schafft dieser Betrieb Bündnisse, die nicht aus der Not heraus entstehen, eine AfD zu verhindern, sondern die damit die stärkste demokratische Fraktion mit den gleichen Mitteln bekämpft und nach jahrelanger guter Zusammenarbeit (SPD und Grüne) plötzlich zum Feind erklärt.

Eine weitere wichtige Frage ist: Wie kommuniziert man überhaupt solche Geschehnisse an die Bürgerinnen und Bürger? Es ist zwar „nur“ Kommunalpolitik, aber nicht unwichtiger zu wissen, was in der eigenen Nachbarschaft vor sich geht, besonders wenn man mit einer anderen Intention gewählt hat.

Ich würde mich gerne mit anderen über diese Gedanken austauschen. Meiner Meinung nach sind hier einige Dinge geschehen, die ich in der Kommunalpolitik für unangemessen halte und finde, dass sie der Demokratie nicht gut tun. Lasst uns gerne darüber sprechen!

Sidney Gregor Wielan

Sidney Gregor Wielan