Von Sinn und Unsinn politischer Social Media Arbeit
LP 2/2024 | Jan-Lukas Gescher
Soziale Netzwerke sind heutzutage kaum noch wegzudenken. Ein Großteil der Bundesbürger benutzt mindestens ein Netzwerk. Je jünger die Nutzerin, desto höher die Chance, dass es sogar mehrere Netzwerke sind. Ob Snapchat, Facebook, Instagram, Twitter/X, BeReal, TikTok oder LinkedIn – die Möglichkeiten und Formate der Sozialen Netzwerke sind mittlerweile vielfältig und umfassend.
Und dort, wo Menschen sind, da wo man miteinander kommuniziert und sich austauscht, ist auch Politik immer zu finden. Selbst Instagram, wo politische Inhalte mittlerweile vom Algorithmus erkannt und schlechter bewertet werden als beispielsweise Urlaubsfotos, strotzt immer noch vor politischen Inhalten.
Aber ergibt es für einen politisch aktiven Menschen, der keine besonderen Ämter oder Mandate innehat, Sinn, sich dort politisch zu äußern?
Raus aus der Blase rein in die digitale Welt
Bevor man beginnt, sich auf einer Plattform zu betätigen, sollte man sich mit dem Netzwerk vertraut machen. Das tun die meisten langsam und schrittweise. Man erstellt ein Konto und sucht nach Bekannten, man klickt „Gefällt mir“ bei Beiträgen, kommentiert sie und irgendwann lädt man selbst einen Beitrag hoch. Wer an Reichweite interessiert ist, beginnt irgendwann, seinen Auftritt zu optimieren.
Egal, auf welchem Netzwerk man aktiv ist oder wird, eines sollte man immer im Hinterkopf behalten, denn es gilt für alle Netzwerke: Ein Soziales Netzwerk funktioniert über Emotionen. Und während man von niedlichen Katzenvideos irgendwann auch mal genug haben kann, kann man sich fast nie genug aufregen. Und genau darauf spekulieren Soziale Medien. Deshalb ist es keineswegs so, dass ein Soziales Netzwerk einen immer und unbedingt in eine Selbstbestätigungs-Blase befördert, eher im Gegenteil. Nur wer alle seine Profile auf nicht öffentlich eingestellt hat, ausschließlich seinen engsten Freunden folgt und niemals auf eine “Das könnte dir auch Gefallen” Seite geht, hat die Chance, doch in eine solche Blase befördert zu werden. Für die meisten Nutzer bedeutet Social Media vor allem Konfrontation mit Meinungen und Absichten, die man ablehnt.
Und genau deshalb verläuft das politische Senden als Privatperson auch nicht nur in der eigenen Blase, sondern auch darüber hinaus. Und mehr noch: Dafür braucht man keine Influencer oder eine große Anhängerschaft. Je nach Netzwerk kann man schnell tausende Menschen erreichen. Hierfür kann manchmal auch schon ein recht gutes Meme ausreichen. Gleichzeitig muss einem bewusst sein, dass sich das Senden politischer Botschaften nicht anbietet, um eine Influencer-Karriere zu starten. Um den Algorithmus richtig zu bedienen, reicht regelmäßige Kommunikation politischer Inhalte oft nicht aus und in der Flut von Beiträgen, Stories, Kommentaren etc. kann man leicht untergehen.
Lohnt sich überhaupt der Aufwand?
Wenn ich nun nicht berühmt werde durch politische Kommunikation, wenn ich keine Garantie habe, immer auch Leute zu erreichen, die nicht meine Denkrichtung teilen, und ich auch noch Gefahr laufe, unterzugehen, wieso sollte ich dann den Aufwand betreiben und politisch auf Sozialen Netzwerken auftreten? Diese Frage stellen sich vermutlich einige der Leser jetzt.
Meiner Ansicht nach lohnt sich politische Kommunikation immer, selbst wenn man kaum Follower hat. Denn erstens ist es doch so, dass Soziale Netzwerke einen immer größeren Einfluss auf unser aller Leben nehmen. Wer früher Menschen erreichen wollte, der ging auf den Marktplatz. Die Funktion des Marktplatzes haben heute die Sozialen Netzwerke. Und selbst wenn seine Meinung vielleicht unterzugehen scheint, ist es noch auffälliger, wenn sie nicht da ist. Das lässt sich mit Wahlplakaten vergleichen, kaum welche stechen wirklich heraus oder hätten gar das Potential, einen Wähler zu überzeugen. Fehlen aber Plakate einer Partei, dann merkt man das sofort. Und ein Abhandenkommen liberaler Meinungen würde jedem vermitteln: Das gibt es wohl nicht mehr.
Zweitens gilt in der digitalen wie auch der analogen Welt der Grundsatz, dass die radikalsten Ansichten meist die lautesten und aggressivsten sind. Nun verhält sich der Großteil der Nutzer von Social Media passiv. Sie laden kaum bis gar nicht eigene Beiträge hoch, sie teilen keine Beiträge anderer Personen, kommentieren nicht und drücken selten den „Gefällt-Mir-Button“. Dennoch nutzen sie die Anwendungen regelmäßig, informieren sich dort und lesen mit. Je weniger gemäßigte Stimmen nun zu hören sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die radikalen, lauten und aggressiven Meinungen als Mehrheit aufgefasst und interpretiert werden.
Drittens kann man schnell ins Gespräch kommen mit Leuten, die auf eigene Beiträge reagieren. Und das sind häufig Leute aus dem näheren Umfeld, die anderer Meinung sind. So entstehen mitunter fruchtbare Diskussionen, die fundamentaler Bestandteil unserer Demokratie sind, aber leider wird mittlerweile viel zu selten diskutiert. Und selbst wenn sich jemand nur aufregen möchte, kann man trotzdem mit Respekt darauf eingehen und ein Gefühl des „Gehört- und Verstandenwerdens“ erzeugen.
Viertens benötigt man für politische Kommunikation nicht unfassbar viel Zeit. Es reicht, Beiträge zu kommentieren oder zu teilen, man ist keineswegs zur stundenlangen Erstellung eigener Inhalte gezwungen. In kürzester Zeit kann man dennoch eine Meinung kundtun oder eine, der man zustimmt, stärken.
Fünftens wirkt die politische Kommunikation nach außen und innen. Man erreicht natürlich nicht nur Leute, die nicht politisch organisiert oder aktiv sind, sondern auch Menschen derselben Partei oder Vorfeldorganisation. So kann man sowohl nach außen und innen senden, Ansichten transportieren und Leute für sich gewinnen. Gerade in der heutigen Zeit ist dieser Umstand durchaus bekannt und wurde beispielsweise bei der Mitgliederbefragung der FDP-Mitglieder zum ‚Ampelverbleib‘ durchaus exzessiv genutzt – von den Befürwortern und den Gegnern des ‚Ampelverbleibs‘ gleichermaßen.
Aus eigener Erfahrung
Ich selbst betreibe einen Twitter- und einen Instagram-Account, mit jeweils über 900 Followern. Dennoch erreiche ich damit alleine auf Instagram monatlich um die 2.000 Nutzer und auf Twitter deutlich mehr. Für politisch aktive Menschen ist diese Form der Multiplikation einfach nicht mehr wegzudenken und essenziell für die politische Arbeit. Das gilt insbesondere für die Jugend- und Studentenverbände, deren Zielgruppe besonders Social Media affin ist.
Ich habe vor knapp fünf Jahren mit ca. 450 Followern begonnen, regelmäßig politische Ereignisse zu kommentieren oder meine eigene Meinung dazu kundzutun. Nur als die Liberalen Hochschulgruppen dieses Jahr Ziel einer Störaktion autonomer Linker und islamistischer Aktivisten wurde, schwang mir so etwas wie Hass entgegen. Ansonsten habe ich viel diskutiert und dabei meine Ansichten gefestigt oder hinterfragt. Das habe ich persönlich immer als gewinnbringend erachtet.
Letztlich steht es jedem frei, ob und in welcher Form er politisch kommunizieren möchte. In Zeiten, in denen die liberale Demokratie zu erodieren droht, ist jeder Mensch, der sich im demokratischen Spektrum an Diskussionen beteiligt, ein Gewinn – ganz egal, ob im digitalen oder analogen Raum. Vielleicht fühlt sich die eine Leserin oder der andere Leser nun auch dazu ermutigt.
Jan-Lukas Gescher
Jan-Lukas Gescher studiert Soziologie und Politologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und beschäftigt sich am liebsten mit politischer
Philosophie. Er ist Bundesvorsitzender der Liberalen Hochschulgruppen. Davor war
und er auf Gruppen- sowie Landesebene in Hessen, bei den Jungen Liberalen und der FDP engagiert. Die Freizeit, die ihm übrig bleibt, füllt er seit über 16 Jahren mit Handball.