Zwischenzeit
Gedanken einer Abiturientin
LP 1/2024 | Annika Staus
Das Ende der Schulzeit nähert sich mit großen Schritten. Zeit für einen Blick nach vorne und auch einen zurück. Was nehme ich von der Schule mit fürs Leben und was erwartet mich.
Was mache ich jetzt? Diese Frage stellen sich gerade tausende Abiturienten in ganz Deutschland. Die Möglichkeiten scheinen unendlich und während die einen schon längst wissen, wohin der Weg geht, fällt es anderen schwer, nach 12 Jahren im linear verlaufenden Schulsystem das Ruder selbst in die Hand zu nehmen und Entscheidungen zu treffen, die von dem Punkt an wohl einen entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben haben werden.
Der Übergang zwischen dem Abitur und dem Berufsstart ist eine entscheidende Zeit im Leben vieler junger Menschen. Diese Zeit kennzeichnet für Abiturienten nicht nur den Einstieg ins Berufsleben, sondern auch eine Phase der Selbstfindung und persönlichen Entwicklung. Diese Freiheit, nach Abschluss der Schule selbst entscheiden zu dürfen, was jeder Einzelne von uns machen will, ist direkter Ausdruck der Demokratie, in der wir leben. Während dieser Phase haben Jugendliche die Möglichkeit, ihre eigenen Lebenswege frei zu gestalten und wichtige Entscheidungen über ihre Zukunft zu treffen. Sie dürfen frei entscheiden, ob sie im Rahmen einer Ausbildung direkt in das Berufsleben einsteigen oder sich für ein Studium an einer Universität einschreiben möchten. Außerdem besteht die Möglichkeit, Praktika oder auch ein „Freiwilliges Soziales Jahr“ (FSJ) zu absolvieren. Sogar das Privileg sich zunächst Zeit für sich zu nehmen, zu reisen und die Welt in all ihren Facetten kennenzulernen, besteht.
Dieser vor uns liegende Weg wird dabei lediglich von uns selbst und unseren Abiturnoten bestimmt und nicht von Umständen wie der akademischen und beruflichen Qualifikation der Eltern. Diese freie Wahl des Berufs ist in Deutschland durch das Grundgesetz geschützt, so steht in Artikel 12, Absatz 1: ,,Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.”
Die freie Berufswahl hat viele Vorteile: einen Beruf entsprechend der eigenen Fähigkeiten und Interessen zu wählen, fördert die persönliche Zufriedenheit. Dies führt zu mehr Engagement und Produktivität im Job, was dem Unternehmen und damit auch der gesamten Wirtschaft zu Gute kommt. Schon in der Schule hat sich gezeigt, dass Schüler meist in den Fächern gut sind, die ihnen Spaß machen. Künstlerisch begabte und interessierte Abiturienten würden vielleicht in einem späteren Job als Informatiker dementsprechend auch nicht ihr volles Potenzial nutzen und die Arbeit wäre weder erfüllend noch effizient. Außerdem trägt die freie Berufswahl zur sozialen Mobilität bei, da sie allen Bürgern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die Möglichkeit gibt, ihren eigenen Weg zu gehen. Dies fördert die persönliche Entwicklung und auch das Verständnis für demokratische Werte wie Toleranz, Respekt und Meinungsfreiheit. Somit ist es von großer Bedeutung, als Gesellschaft den Wert individueller Freiheit und daraus entstehender Selbstentfaltung anzuerkennen und sicherzustellen, dass verschiedene Interessen und Talente in die Gesellschaft eingebracht werden können.
Beim Beschreiten des eigenen Weges, stellen sich viele Fragen: Was ist mir wichtig? An wem kann ich mich orientieren? Welche Einstellungen lehne ich ganz klar ab? Allgemeiner gesprochen, was sind meine Werte? Und was bzw. wer hat sie geprägt?
Ganz unterschiedliche Einflüsse prägen die eigene Meinung und Einstellung: Familienmitglieder, Freunde, Lehrer oder von ihnen vorgelebte Traditionen. Diese Vorbilder und Traditionen können wichtige Orientierungshilfen bieten und den Weg für individuelle Entscheidungen und Handlungen weisen.
Zum Beispiel können Familienmitglieder den Wert von Empathie und Mitgefühl vermitteln, indem sie die Bedeutung des Verstehens und Respektierens anderer Perspektiven lehren. Freunde können Unabhängigkeit fördern und so ein Gefühl von Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit schaffen.
Lehrer können kritisches Denken und gesellschaftliches sowie politisches Engagement fördern, indem sie junge Menschen bilden und dazu ermutigen, zu positiven Veränderungen beizutragen.
Darüber hinaus können traditionelle Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit als Leitprinzipien dienen und Einzelpersonen dazu inspirieren, sich für liberale und demokratische Ideale einzusetzen und diese zu verteidigen. Außerdem bieten Traditionen ein vertrautes Sicherheitsnetz, welches ermutigen kann, auch über dieses hinaus neue Erfahrungen zu schaffen und Neues zu erlernen. Des Weiteren zeigen Traditionen, was sich früher bereits bewährt hat und gegebenenfalls auch weiter bewähren kann.
Auch Gemeinschaften wie z. B. Sportvereine spielen eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Werten. Ein Beispiel hierfür ist mein eigener Baseballverein, in welchem nicht nur Wert auf die sportliche Leistung, sondern auch auf Engagement und Teamgeist gelegt wird. Spieler müssen nicht nur individuell herausragende Leistungen erbringen, sondern auch bereit sein, sich für das Team einzusetzen und sich gegenseitig zu unterstützen. Sie haben die Möglichkeit, durch ihr Engagement und ihre Leistung mehr Spielzeit zu erhalten. Das schafft eine Umgebung, in der individuelle Anstrengung belohnt wird und jeder die Chance hat, sich durch harte Arbeit und Einsatz zu verbessern. Dies ist eine gute Vorbereitung auf das Arbeitsleben und auf eine aktive, verantwortungsvolle Teilnahme an der Gesellschaft.
Besonders wichtig ist es auch Sachverhalte, Situationen und Menschen immer wieder kritisch zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden; etwas, was z. B. im Politik- oder Deutschunterricht in der Schule angeregt und geübt werden kann. In einer liberalen Demokratie ist es unerlässlich, dass jeder Einzelne in der Lage ist, selbstständig zu denken und zu handeln. Dies erfordert eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen, gesellschaftlichen Normen und politischen Entscheidungen. Eine mangelnde Fähigkeit zum kritischen Denken und eine nicht konstruktive Diskussionskultur können dazu führen, dass Menschen anfällig für extremistische Ideologien oder Manipulationen durch Propaganda werden. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass Schule weiterhin eine Umgebung fördert, in der kritisches Denken und ein respektvoller Austausch von Ideen gefördert werden. Nur so können wir Extremismus und Manipulation entgegenwirken und sicherstellen, dass unsere Demokratie erhalten bleibt.
Nach der Schulzeit ist die Zeit zwischen Abitur und Berufsbeginn wichtig, als Raum für die Umsetzung der gelernten Fähigkeiten und Werte. Es ist die Zeit, in der wir Abiturienten lernen, Verantwortung zu übernehmen, eigene Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen unseres Handelns zu tragen. Diese Erfahrungen werden uns selbstbewusster machen auf unserem Weg, uns als mündige Bürger aktiv bei der Gestaltung einer freien und offenen Gesellschaft einzubringen. Ich freue mich auf diese Zeit.