Ein Leben für den Frieden in Europa und den Liberalismus
Zu Wolfgang Schollwers 100. Geburtstag
Aufstieg der NSDAP, Machtübernahme der Nationalsozialisten, Beginn und Ende des Zweiten Weltkriegs. Besetzung, Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Kalter Krieg, Mauerbau, Sozialliberale Koalition, 16 Jahre Kohl und Wiedervereinigung. Einführung des Euros, 11. September 2001, Wirtschaftskrise, Besetzung der Krim durch Russland – ein Leben sozusagen in historischen Stichworten. Dies alles hat Wolfgang Schollwer, der am 22. Januar 2021 in Bonn verstarb, live erlebt.
Parteifunktionär, Parteiangestellter, Ministerialreferent
Sein Berufsleben führte ihn unterschiedliche Funktionen. Er begann als Parteifunktionär der LDP in der jungen DDR. Nach seiner Flucht in den Westen 1950 wurde er Angestellter der FDP. Daran schloss sich seine Verwendung als Ministerialreferent im Auswärtigen Amt 1972 an. Überall gestaltete er einen Teil dieser oben beschriebenen Geschichte mit. Ein kleines Rädchen unter vielen, würde er vermutlich seine eigene Rolle marginalisieren, stellte er sich doch ungern ins Rampenlicht.
Dabei kann seine Rolle insbesondere für den Wandel der FDP in ihrer außenpolitischen Ausrichtung in den 1960er Jahren nicht überschätzt werden. Historiker beschreiben Schollwers Wirkung bereits seit längerem als vergleichbar mit der Egon Bahrs in der SPD, nur eben noch früher. Während sich Bahr erst ab 1966 der Deutschlandpolitik unter Willy Brandt als Außenminister widmete, schrieb Schollwer seine erste Denkschrift, das erste sog. Schollwer-Papier, 1962. Das zweite folgte 1967. Damit wurde er zum Vordenker liberaler Entspannungspolitik – eine Politikwende, die in der FDP Zeit braucht, waren hier doch noch starke nationale bis nationalliberale Strömungen aktiv. Diese konnten sich nicht so schnell mit einer Neuausrichtung der Deutschlandpolitik abfinden.
Präses des VLA ohne akademischen Abschluss
Es war auch ein besonderes Zeichen, dass Wolfgang Schollwer zum Präses des Seniorenverbandes des Liberalen Studentenbundes Deutschland, dem heutigen Verband liberaler Akademiker (VLA), gewählt wurde. Schollwer hatte in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR nie studieren dürfen. Aufgrund seines Dienstgrades als Leutnant der Reserve der Wehrmacht sowie seiner liberalen Gesinnung verbauten die Kommunisten ihm diesen Weg.
Auch nach der Flucht in den Westen war für den verheirateten Endzwanziger ein Studium keine Option mehr. Doch er fand in Bonn Anschluss an einen Kreis junger liberaler Geister, die es nach dem Studium häufig in die junge Bundeshauptstadt verschlug. Hier gründete sich der Seniorenverband 1955 als Ehemaligen- oder auch Alumniverein. Gründungsmütter und -väter waren die, welche sich im Liberalen Studentenbundes Deutschland bzw. liberal in Hochschulgremien engagierten. Schollwer wurde in den 1960ern Teil dessen, sozusagen ein Akademiker ohne akademischen Abschluss. Die Entscheidung, ihn an die Spitze des Verbandes zu stellen, fiel einstimmig – auch gerade vor dem Hintergrund des Ringens um eine neue liberale Deutschlandpolitik innerhalb der FDP.
Mit dem Beginn der sozialliberalen Koalition wurden seine Gedanken Wirklichkeit. Als Teil des Auswärtigen Amtes konnte er in seinen letzten 15 Berufsjahren unter den Außenministern Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher seine Gedanken direkt in die Politikgestaltung einbringen. Die Wende, die zwei Jahre nach seiner Pensionierung erfolgte, hatte er nicht kommen sehen, wie er in einem Gespräch 2018 in Bonn zugab.
Sorge um den Frieden in Europa
Bis zu seinen letzten Tagen war Wolfgang Schollwer geistig voll auf der Höhe, ständig gut im Bild über die aktuellen politischen Debatten. Seine ständige Sorge galt dem Frieden in Europa. Im ständigen Austausch mit jungen Studentinnen und Studenten hielt er seinen Finger an den Puls der Zeit ohne jedoch in den zeitgeistigen Strömungen unterzugehen. Sein liberaler Kompass blieb fest ausgerichtet.
Doch nicht nur seine geistige Klarheit zeichnete ihn aus. Auch sein feinsinniger Humor, seine Selbstironie, mit der er auf die eine oder andere Eitelkeit in seinem Leben zurückblickte, machten ihn zu einem angenehmen Gesprächspartner. Er neigte nicht zur Monologisierung, sondern begegnete all seinen Gesprächspartnern, egal welchen Alters, egal mit welchem Hintergrund, immer auf Augenhöhe.
Wolfgang Schollwer hat ein geistiges Erbe hinterlassen, das es zu wahren gilt. Er war Vorbild in vielerlei Hinsicht. Frauen und Männer seines Schlages sind gerade heute in der deutschen und europäischen Außenpolitik gefragter denn je. Wieder einmal geht es um den Frieden in Europa.