90 Jahre Gerhart Baum
Eine Laudatio von Vize-Präses Sven-Oliver Wolff
Gerhart Baum wird an diesem Freitag 90 Jahre alt. Fast unvorstellbar, so rege und vehement, wie er sich auch noch an den aktuellsten politischen Debatten beteiligt. Erst vor wenigen Tagen hat er in Interviews den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck verteidigt und ist mit der eigenen Partei, allen voran dem Finanzminister, hart ins Gericht gegangen. In einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ließ er keinen Zweifel, was er vom Festhalten am Verbrennungsmotor und vom Nein zum Tempolimit hält. Ein Beharren auf den ewig gleichen, alten Ladenhütern. Und dann das Wort von der Gratismentalität. Dass er seine eigene Partei von Kritik nicht verschont, ist nicht neu. Ein bequemer, angepasster Parteisoldat war Gerhart Baum gewiss nie. Als unbeugsamer Streiter für Bürgerrechte hat er einen fast schon legendenhaften Rum.
Von der Elbe an den Rhein
Wie also nähert man sich einem Mann, über den schon so vieles geschrieben wurde? Die Stationen seines politischen wie privaten Lebens lassen sich nicht nur im obligatorischen Wikipedia-Artikel nachverfolgen. Eine Suche bei google ergibt bereits am Vorabend seines Geburtstages eine veritable Liste an Würdigungen. Kölner Stadtanzeiger, Rundschau und sogar der Express machen deutlich, wo Baum seit mehr als 60 Jahren zuhause ist. Mir war gar nicht präsent, dass er in Dresden geboren wurde, so sehr verbinde ich ihn mit der Domstadt am Rhein, in der er seit 1950 lebt. Eine bemerkenswerte Parallele zu unserem Altpräses Peter Menke-Glückert, der zwar durch Zufall in Karlsruhe geboren wurde, aber ebenfalls ist Dresden aufwuchs. Als Kinder werden sich die beiden kaum begegnet sein, doch sollte sich ihr weiterer Lebensweg später noch kreuzen.
Beide entstammen sie einem bildungsbürgerlichen Hintergrund. Baums Großvater und Vater waren Rechtsanwälte, die Mutter entstammte einer russischen Unternehmerfamilie. Die Verwüstung seiner Heimatstadt, die Angst vor den Bomben und die Entbehrungen beschrieb er später als prägend. Nach der Flucht kam er zunächst nach Bayern und besuchte das Gymnasium Tegernsee, wo ihn ein dem Widerstand verbundener Lehrer politisch nachhaltig beeinflusste.
1954 trat er in die FDP ein. Die sei Anfang der 50er Jahre „naziverseucht“ gewesen, woran er und andere jüngere Mitstreiter massiven Anstoß nahmen. Später gehörte er zu den Mitbegründern des Freiburger Kreises und wurde in der sozialliberalen Koalition gemeinsam mit Burkhard Hirsch und Hildegard Hamm-Brücher, mit denen er auch privat freundschaftlich verbunden war, zu einem der führenden Köpfe des sozialliberalen Flügels seiner Partei.
Erste Akzente in der Umweltpolitik
Seinen Ruf als Verfechter von Bürgerrechten und Rechtsstaatlichkeit brachte ihm insbesondere seine Tätigkeit im Bundesinnenministerium ein, seit 1972 als Parlamentarischer Staatssekretär und seit 1978 als Minister. Er modifizierte den sogenannten „Radikalenerlass“ und setze eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem politischen Umfeld der RAF durch. Zudem setzte er Akzente in der Umweltpolitik, die damals noch im Innenministerium angesiedelt war. Er betraute den seit 1970 im BMI tätigen Peter Menke-Glückert 1978 mit der Übernahme des Bereichs Umweltpolitik.
Nach dem Bruch der sozial-liberalen Koalition zog Baum sich aus der Regierung zurück, kehrte seiner Partei aber – anders als manch anderer enttäuschter Sozialliberale – nicht den Rücken. Dem Deutschen Bundestag gehörte er bis 1994 als Abgeordneter an. Von 1992 bis 1998 hatte er die Leitung der deutschen Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission inne. Anschließend war er unter anderem als Beauftragter für die Menschenrechte im Sudan tätig.
Unermüdlicher Einsatz für Bürgerrechte
Daneben arbeitete er wieder als Rechtsanwalt. Er führte einige der herausragendsten Verfahren der letzten Jahrzehnte. Er vertrat die Angehörigen der Opfer des Ramstein- und Concordeunglücks, des Anschlags von Lockerbie, des Münchener Olympia-Attentats und der Loveparade ebenso wie die sowjetischen Zwangsarbeiter gegenüber der Bundesrepublik. Vor allem aber setzte er sich auch gerichtlich unermüdlich für die Bürgerrechte ein. Vor dem Bundesverfassungsgericht ging er – teilweise gemeinsam mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Burkhard Hirsch – erfolgreich gegen den großen Lauschangriff, die Vorratsdatenspeicherung, das Luftsicherheitsgesetz und das BKA-Gesetz vor. In Nordrhein-Westfalen brachte er die Online-Durchsuchung zu Fall.
Ich gebe zu, dass mir gerade diese Erfolge beruflich einigen Verdruss bereitet haben, handelt es sich doch jeweils um effiziente Mittel zur Aufklärung von Straftaten. Insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität ist die Ermittlungsarbeit ohne sie deutlich erschwert. Keine Frage: Im Bereich der Ermittlungsbehörden haben die gerichtlichen Erfolge Baums so manchen ganz ordentlich gestresst. Nicht wenigen galt und gilt er als liberaler Quälgeist. Doch für einen mit einem festen liberalen Kompass ausgestatteten Rechtsstaatsenthusiasten wie Gerhart Baum konnten solche Erwägungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Eingriffe in die Bürgerrechte nicht zu rechtfertigen waren.
Begegnung in Paderborn
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch an Baums letzten Besuch bei unserem Verband. Beim Pfingstseminar in Paderborn hielt er einen Vortrag, natürlich zu seinem Lebensthema: Den Freiheits- und Bürgerrechten. Ich hatte ihn mit dem Auto am Bahnhof nicht ohne eine gewisse Nervosität in Empfang genommen. Als dienstjunger Staatsanwalt war ich etwas angespannt, hatte ich doch schon einige Rechtsanwälte, die sich in ihrer Rolle als Kämpfer gegen die Ermittlungsbehörden gefielen, als äußerst anstrengend erlebt. Doch die kurze Fahrt vom Bahnhof zum Tagungshaus war äußerst angenehm. Ich erlebte einen zugewandten, interessierten Menschen, der sich voller Respekt und Anerkennung gerade über jene Berufsgruppen äußerte, bei denen er sich durch die Verfassungsbeschwerden nicht eben beliebt gemacht hatte.
Spätestens jetzt hatte ich verstanden: Es ging nicht um ein Dagegen. Und ganz gewiss nicht darum, Polizisten, Staatsanwälten oder Richtern das Leben unnötig schwer zu machen. Sondern darum, für etwas zu streiten: die Freiheit.
Freiheit und Verantwortung Hand in Hand
Auch wenn es unbequem war und keinen Applaus einbrachte, setzte und setzt Gerhart Baum sich stets für die Freiheit ein. Dass Freiheit dabei stets mit Verantwortung einhergehen müsse und eine Einschränkung zum Schutz anderer auch aus seiner Sicht durchaus erforderlich sein könne, machte Baum im Rahmen der Coronapandemie deutlich. Auch hier übte er offen Kritik an der Führung seiner Partei, der er Populismus und ein falsches Verständnis von Freiheit vorwarf.
Keine Frage: Auch mit 90 Jahren bleibt Gerhart Baum ein eloquenter und engagierter Streiter für die Freiheit. Wir wünschen ihm dabei weiterhin viel Erfolg.