Alles offen beim Brexit

Spannende Diskussion über Großbritannien, die Strategie der britischen Regierung und die Einigkeit der übrigen EU-Mitgliedsstaaten

„Drei Wetten im Zusammenhang mit dem Brexit habe ich bereits verloren“, erklärte Dr. Sven Mossler, Leiter der Arbeitseinheit Brexit in der Europaabteilung des Auswärtigen Amtes, den Anwesenden liberalen Akademikern und Freunden des Verbandes. Weitere Einschätzungen zum Fortgang des Brexits will er daher lieber nicht mehr abgeben. Aus seiner Sicht ist grundsätzlich alles denkbar: harter Brexit nach dem 31. Oktober, geregelter Austritt nach Ratifizierung des ausgearbeiteten Abkommens bis dahin oder auch Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union.

Anlass seiner Ausführungen war das Regionaltreffen des Verbands liberaler Akademiker in Berlin am Vorabend des Bundesparteitages der Freien Demokraten. Ein buntes Publikum in gemütlicher Gesprächsatmosphäre fand sich im Lokal Walhalla, der Stammkneipe der Berliner VLAler, ein.

Ursache, Auswirkungen und Folgen

Zu Beginn schilderte Dr. Mossler in aller Kürze die Entwicklungen der Brexitverhandlungen seit 2016 bis zum aktuellen Tag. Die anschließende Debatte drehte sich insbesondere um die Ursachen der Entscheidungen, die Auswirkungen auf das britische Parteien- und Verfassungssystem sowie die Folgen eines harten Brexits.

Faktenreich legte Dr. Mossler dar, dass die Industrie auch einen harten Brexit oftmals längst eingepreist habe. Frankreich habe zudem Lagerkapazitäten im Raum Calais geschaffen. Für den Fall eines ungeregelten Austritts seien eine Reihe von Maßnahmen getroffen worden, um die schwerwiegendsten Folgen zumindest abzufedern: Britische Touristen sollen sich problemlos drei Monate in den übrigen EU-Mitgliedsstaaten aufhalten dürfen sowie EU-Bürger als Touristen in Großbritannien. Auch die Fortsetzung des Flugverkehrs sei für einen solchen Fall jedenfalls vorübergehend geregelt. Klein- und mittelständische Unternehmen stünden jedoch vor großen Herausforderungen. „‚Wie fülle ich eigentlich eine Zollerklärung aus?‘ werden sich dann viele Unternehmer fragen“, hob Dr. Mossler hervor.

Nordirland: Gefahr eines Wiederaufflammens der blutigen Auseinandersetzungen

Nichtsdestotrotz macht er deutlich, dass ein harter Brexit eine Bedrohung für den Frieden in Nordirland bedeute. Eine offene Grenze wollen sowohl Großbritannien  als auch die Republik Irland erhalten. Ein harter Brexit habe aber zwingend Grenzkontrollen zur Folge. Dann bestünde die Gefahr eines Wiederaufflammens der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland.

Am verhandelten Austrittsabkommen, das alle rechtlichen Punkte des Brexits regelt, werde die EU der 27 nicht mehr rütteln lassen. Das stünde fest. Beim zweiten Teil des verhandelten Pakets, der politischen Erklärung über das künftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, gebe es jedoch Spielraum. Immer wieder hob der Referent auf die nicht unbedingt zu erwartende Einheit zwischen den 27 EU-Staaten gegenüber Großbritannien ab. Versuche der britischen Regierung, diese mit Einzelverhandlungen auseinander zu dividieren, seien nicht gelungen. „Bei allem Drama um den Brexit und möglichen Folgen, ist diese Einigkeit der EU der 27 doch ein gewisser Erfolg.“

Für die Diskutanten ließ dies eine Hoffnung: Diese Einigkeit kann ein Chance sein und zur Stabilisierung der Europäischen Union beitragen. Die Ungewissheit beim Brexit bleibt, weitere Verlängerung über den 31. Oktober 2019 hinaus nicht ausgeschlossen.