Unsere Stipendiatin Nicole in Prag

Der Verband liberaler Akademiker vergibt pro Jahr bis zu vier Stipendien für die internationale Arbeit im Bereich der Liberalen Hochschulgruppen. Im ersten Halbjahr 2022 haben wir so Nicole aus Niedersachen gefördert. Sie berichtet im Folgenden von ihrem Besuch des LYMEC-Kongresses in Prag.

„Am Wochenende des 20.-22. Mai hatte ich die Ehre, für detn Bundesverband der Liberalen Hochschulgruppen als Delegierte beim „LYMEC Electoral Spring Congress“ in Prag dabei sein zu dürfen. Das Wochenende war für mich eine große Bereicherung – zum einen hatte ich die Möglichkeit, viele neue, junge Menschen aus ganz Europa mit politischen Impulsen kennenzulernen, zum anderen gab es spannende, inhaltliche Debatten.

Noch vor Kongressbeginn veranstaltete das „Renew Europe Team“ einen Workshop.Dies geschah vor dem Hintergrund, dass das Europäische Parlament und der Rat sich im Dezember darauf geeinigt hatten, 2022 als „Year of the Youth“ zu bezeichnen. In erster Linie zielte er darauf ab, die Delegationen dazu ermutigen und zu inspirieren, Veranstaltungsideen zu entwickeln, welche junge Menschen noch näher an die Politik heranbringen. Dadurch, dass die Initiativen des „Year of the Youth“ mit insg. 8 Millionen Euro unterstützt werden, war die monetäre Frage zunächst einmal zweitranging, was der Ideenfindung natürlich sehr zu Gute kam. Am Ende konnte das Renew Europe Team zahlreiche Veranstaltungsideen mitnehmen – und der Kongress konnte beginnen.

Offene Atmosphäre weckte Motivation

Neben zahlreichen Grußwörtern (unter anderem von Svenja Hahn, die auch das ganze Wochenende vor Ort war), wurde eine Dringlichkeitsantrag zu Menschenrechten in internationalen Sportveranstaltungen diskutiert und angenommen. Am Abend fand dann das gemeinsame Abendessen im Hotel statt. Hier kamen wir mit zahlreichen anderen Delegierten ins Gespräch. Besonders gefallen hat mir dabei die offene Atmosphäre; auch wenn man noch kaum jemanden kannte, wurden wir sofort ins Gespräch mit einbezogen und als Teil der Gemeinschaft verstanden. Die Motivation für die nächsten Kongresstag wurde auf jeden Fall geweckt.

Am Samstagvormittag begann es zunächst mit internen Angelegenheiten. Dazu gehörte z.B. die Aufnahme von Mitgliedern als volle Mitglieder sowie als assoziierte Mitglieder. Als volle Mitglieder wurden „Movement for! Youth Latvia“, „Vesna Youth Democratic Movement Russia“ und „Young Green Liberals Switzerland” aufgenommen. Da es mein erster Kongress war, fand ich diesen Tagesordnungspunkt besonders interessan: Ich konnte ein grundsätzliches Gefühl für die interne Organisation von LYMEC in Bezug auf die Mitglieder gewinnen.

Spannende Neuwahlen des Bureau LYMEC

Danach stand einer der Hauptpunkte des Programmes: Das Bureau LYMEC wurde neu gewählt. Einige Kandidat*innen hatten sich im Vorfeld online bereits bei den Delegationen vorgestellt. Dadurch hatte man sich bereits im Vorfeld einen persönlichen Eindruck machen und die Ziele der Kandidat*innen kennenlernen können. Als neuer Präsident wurde Dan-Aria Sucuri (Schweden) gewählt. In seiner Rede erklärte er, die liberalen Ideen, die durch LYMEC entstünden, in seiner Amtszeit nach außen tragen zu wollen und sich insbesondere die Umsetzung der vielen Ideen vorzunehmen. Ines Holzegger (Österreich) wurde in einer Kampfkandidatur mit Marten Porte (Niederlande) als Vizepräsidentin gewählt. Sie versprach in ihrer Rede, LYMEC für junge Leute noch erreichbarer machen – und den Einfluss der Organisation stärken zu wollen. Zudem solle erreicht werden, die Ideen junger Menschen noch weiter nach vorne zu bringen.

Um genau diese Ideen ging es dann nach dem Mittagessen in der Antragsdebatte. Die konkrete Reihenfolge war zu Kongressbeginn per Alex-Müller-Verfahren festgelegt worden. Anträge, die sich mit dem Krieg gegen die Ukraine beschäftigten, standen dabei ganz oben auf der Tagesordnung. Auch hier möchte ich noch einmal meinen besonderen Respekt gegenüber den Delegierten der „Young Liberals Ukraine“ und der „Ze!Molodizhka Ukraine“ betonen. Sie waren beim Kongress anwesend, wohl in dem Wissen, welchen schrecklichen Situationen Freunde und Familie in ihrem Heimatland ausgesetzt sind. Der Antrag „Recognition of the Genocide of the Ukrainian People by the Russian Federation“ war besonders bewegend. Er sah vor, dass LYMEC die Gräueltaten Russlands gegenüber der ukrainischen Bevölkerung als „Genozid“ einstufe. Zur Begründung hielt eine ukrainische Delegierte eine sehr ergreifende Rede über die schreckliche Situation in dem Land. Der ganze Saal war von ihren Worten deutlich mitgenommen. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.

Was ist eigentlich „liberal“?

Hitzig diskutiert wurde dagegen vor allem das unterschiedliche Verständnis und die Auslegung des Begriffs „liberal“ zwischen den verschiedenen Delegationen. Die Debatte war nicht nur besonders aufgeladen und emotional, sondern auch spannend, da die Meinungen in diesem Bereich besonders stark auseinander gingen. Die Schweizer Delegation „Jungfreisinnige Schweiz“ hatte beispielsweise einen Antrag mit dem Titel „For basic classic liberal principles – a market-friendly LYMEC”, gestellt. In einer Passage hieß es dabei, dass Aufgaben des Staates auf dessen Kernkompetenzen begrenzt sein sollten. Viele Delegationen bewerteten das als problematisch. Sie argumentierten unter anderem, dass durch diese Formulierung assoziiert werde, dass soziale Aspekte ausgeschlossen wären.

In meinen Augen ist dies aufgrund der Auslegungsmöglichkeit von dem Begriff „Kernkompetenz“ gerade nicht der Fall. Vielmehr müsste im zweiten Schritt zwar diskutiert werden, was genau von „Kernkompetenz“ umfasst ist; die Forderung, dass sich der Staat auf seine Kernkompetenzen jedoch beziehen soll, ist für mich mit einem liberalen Verständnis unproblematisch. Im Ergebnis wurde der Antrag jedoch mit weniger als 30 % Zustimmung abgelehnt. Da dies der letzte Antrag war, der zeitlich besprochen werden konnte, kam es leider gar nicht mehr zu unserem Antrag.

LHG-Antrag wurde leider nicht diskutiert

Wir als LHG hatten einen Antrag eingereicht, der darauf abzielte, gehörlosen Studierenden das Studium zu erleichtern, da dieses – insbesondere für Betroffene – ein sehr wichtiges, aber leider bisher eher stiefmütterlich behandeltes Thema ist. Beispielsweise forderten wir in dem Antrag, die bürokratischen Hürden für gehörlose Studierende zu reduzieren, die Etablierung einer Universität für Gehörlose, die dem Beispiel der Gaullaudet University in den USA folgt und die Bereitstellung von zusätzlichem Material zum bestmöglichen Umgang mit gehörlosen Studierenden für Universitäten. Der Antrag wurde nun leider nicht thematisiert. Doch wir haben die Chance, ihn beim nächsten Mal erneut einzureichen – was meiner Meinung nach auch getan werden sollte.

Nach einem sehr langen und spannenden Debattentag freuten sich sicherlich alle auf das Abendprogramm, welches eine Bootsfahrt auf der Moldau vorsah. Bei langsam eintretender Dämmerung hatte man einen wunderschönen Blick auf Prags Altstadt! Zudem gab es reichlich Essen und zahlreiche, spannende Gespräche entstanden. Es wirkte so, als hätte der Kongress allen sehr viel Spaß bereitet. Ich freue mich, dass ich für die Liberalen Hochschulgruppen ebenfalls dabei sein durfte. Hoffentlich darf ich in Zukunft wieder Teil unserer Delegation sein!“